Wenn Frieden wär - Rede zum Volkstrauertag

Rede der Ortsvorsteherin von Hennickendorf, Monika Döppner-Smyczek, zum zum Volkstrauertag am 19.11.2023

Gewalt, immer wieder Gewalt,
seit Menschengedenken … Gewalt.
Sie raubt mir die Luft zum Atmen.

[...]

Und werte Anwesende, wer hat auch nur im Geringsten geahnt, dass der Schock, den der Überfall auf die Ukraine bei uns ausgelöst hat, sich noch steigern könnte?
Ich begrüße Sie heute zum Volkstrauertag 2023, 78 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges mit dem damals geäußerten Schwur „Nie wieder!“ an unserer Gedenkstätte. Ein Schwur, der nicht nur dem Ende des Krieges galt, sondern auch dem Gedenken aller Opfer des Krieges und vor allem auch dem Ende des Holocaust, der organisierten Ausrottung der jüdischen Bevölkerung in Europa. Die wenigen Überlebenden haben sich den Staat Israel aufgebaut in der Hoffnung, dort friedlich und in Sicherheit leben und ihren Glauben mit Leben erfüllen zu können.

Ich habe in den letzten Tagen viele Bilder aus Israel und dem Gazastreifen gesehen und viele Meinungen und Äußerungen gelesen. In einem sind sich die meisten einig: Der aktuelle Terror der Hamas war und ist der tödlichste Angriff auf die Juden seit dem Holocaust und deswegen auch aufs Schärfste zu verurteilen und zu verstehen, dass Israel die Strukturen der Hamas zerschlagen will. Und dennoch starben und sterben Männer, Frauen und Kinder in Israel und im Gazastreifen. Größer und schlimmer kann ein Dilemma nicht sein!

Und dieser Konflikt ist nicht nur ein Konflikt in Nahost, sondern er wird auch auf deutschen, auf europäischen Straßen ausgetragen. Und das nicht nur in friedlicher Form, sondern durchaus auch mit radikalen Stimmen gegen die jüdische Bevölkerung. Schon länger nehme ich mit zunehmender Verärgerung, ja auch Wut wahr, dass an deutschen, an brandenburgischen Schulen ganz offen Nazisymbole überall hingeschmiert werden, offen der Hitlergruß gezeigt, ja sich damit begrüßt wird und sogar Lehrerinnen und Lehrer beschimpft und angegriffen werden! Wie lange wollen wir das ohne Konsequenzen noch dulden? Ist der Schwur und das damit verbundene Versprechen „Nie wieder!“ ausgelöscht in unseren Köpfen? Bei uns, die wir hier stehen und gedenken, mit Sicherheit nicht! Aber wir werden immer weniger! Wer erfüllt weiterhin das Vermächtnis, das uns diejenigen gaben, deren Namen auf diesen Gedenksteinen stehen.

Müssen wir um der Demokratie und der Toleranz willen tatsächlich alles dulden? Ich meine: Nein! Auch Toleranz hat Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Zivilcourage ist gefragt, sich dagegen stellen, miteinander reden und nicht beschimpfen und aufeinander losgehen. Eine gesellschaftliche Aufgabe, aber auch eine erzieherische Aufgabe der Eltern, der Kitas und Schulen. Dafür brauchen wir Menschen, die sich dieser Aufgabe stellen, die Vorbilder sind, die Wissen haben und dieses weitergeben können und wollen. Eine friedliche Streitkultur ist wichtiger denn je. Auch in unserem Alltag.

Es darf nicht sein, dass der Schulleiter einer jüdischen Schule in Deutschland seine Schülerinnen und Schüler „vorsorglich“ an die üblichen Sicherheitsmaßnahmen erinnert: Er rate wie immer dazu, in öffentlichen Verkehrsmitteln jüdische Symbole nicht öffentlich zu tragen und kein Hebräisch zu sprechen. In meinem Kopf spiegeln sich Bilder aus der Vergangenheit wieder und der Schwur: Nie wieder! Es kann auch nicht sein, dass Muslime in Deutschland, die sich offen gegen den Terror der Hamas äußern, sich nur noch mit Personenschutz auf deutschen Straßen bewegen können. Das und noch so vieles andere lässt mich oft nicht schlafen. Wie sicher können wir uns fühlen? Oft denke ich zurück an die hoffnungsvollen Jahre nach der Helsinki-Konferenz mit dem Ergebnis der friedlichen Koexistenz. Das ist wieder ein erstrebenswertes Ziel: die friedliche Koexistenz aller Länder- eine friedliche dauerhafte Lösung auch des Nahost-Konfliktes. Denn nur im Frieden können wir leben, uns weiterentwickeln, lachen, lieben und Spaß haben.

Dem steht meiner Meinung nach der Satz unseres Verteidigungsministers:“ Wir müssen kriegsfähig sein.“ entgegen. Manche ersetzen „kriegsfähig“ durch „wehrfähig“. Es macht mir so oder etwas anders ausgedrückt Angst. Worauf läuft das hinaus? „Nie wieder?“

War nicht das Wort „Abrüstung“ in Europa und der Welt das Wort der Hoffnung aller Menschen? Wie weit sind wir davon heute entfernt? Und wie umso wichtiger ist so ein Tag wie heute- ein Tag des Erinnerns, aber auch ein Tag, der uns immer wieder vor Augen hält: Erst wenn die großen Feinde des Friedens- Habgier, Neid, Wut, Intoleranz, falsch verstandener Stolz und politisches Kalkül vertrieben sind, erst dann kann Frieden sein. Auch die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit ist eine elementare Voraussetzung für ein friedliches Miteinander. Und dafür müssen wir uns täglich, nicht nur am Volkstrauertag, einsetzen. Nur so können wir das Gelübde „Nie wieder!“ mit Leben erfüllen, einlösen und dafür sorgen, dass die junge Generation darum weiß, warum wir hier Jahr für Jahr stehen und unsere Verantwortung des „Nichtvergessens“ weitergegeben. „Die Toten der vergangenen wie der aktuellen Kriege zeigen uns, wie fragil der europäische und der Weltfrieden ist und wie wichtig es ist, sich aktiv gemeinsam für den Frieden zu engagieren, Vorurteile abzubauen und freiheitliche und menschenwürdige Lebensbedingungen dort zu erkämpfen, wo es sie nicht gibt und sie dort zu verteidigen, wo sie angegriffen werden.“ (Wolfgang Schneiderhan)
Dann erfüllt sich auch der Wunsch: „Wenn Frieden wär.“