Weiter tragen, wohin all das führt - Rede der Bürgermeisterin zum Tag der Befreiung

Rede der Bürgermeisterin Sabine Löser zum Tag der Befreiung am Denkmal in Hennickendorf

Mesdames et Messieurs

am 19. April 1945 fand auf dem Appellplatz des Konzentrationslagers Buchenwald die erste Trauerfreier für die Toten des Lagers nahe Weimar statt. Organisiert wurde das Gedenken von Überlebenden im Auftrag des Internationalen Lagerkomitees. Als Denkmal diente ein in den Werkstätten des Lagers hergestellter hölzerner Obelisk mit der Inschrift „K.L.B. 51.000“ – Konzentrationslager Buchenwald – 51.000 Tote allein in diesem Lager.

Die Überlebenden marschierten in Blöcken formiert, nach Nationen gegliedert zu den Klängen des Lagerorchesters auf den Appellplatz. Die in den verschiedenen Sprachen ausgearbeitete Gedenkansprache mündete in einem gemeinsamen Gelöbnis:

„Die endgültige Zerschmetterung des Nazismus ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.“
Bekannt wurde die Losung als Schwur von Buchenwald.

Und heute nun, 78 Jahre später bestimmte die Berichterstattung der letzten Tage ein Brandbrief von Lehrkräften aus einer Schule in Burg – nur gut 100 km entfernt:

Ein Schüler steht vor seinem Sportlehrer und hebt zweimal den Arm zum Hitler-Gruß, mehrere Menschen haben den Vorfall gesehen. Der Lehrer vor dessen Augen der Fall passiert ist, sagte wenig später der Schulleiterin, er habe nichts gesehen. Ein anderer Schüler derselben Schule ruft, als er des Klassenzimmers verwiesen wird, „Arbeit macht frei!“. Im Winter haben Lehrer auf Ihren Motorhauben in den Schnee gezeichnete Hakenkreuze gefunden.

Mir wurde erst am Wochenende davon berichtet, dass am Freitag hier am Kreisverkehr in Hennickendorf beobachtet wurde, wie ein Fahrradfahrer einen offenbar Bekannten der ihm im Auto entgegenkam, mit einem eindeutigen Hitlergruß begrüßte.

Diese Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit und aus unserer unmittelbaren Umgebung zeigen, dass der Schwur von Buchenwald, auch heute, 78 Jahre später, seine zwingenden Berechtigung hat. Sie bestätigen, dass die Aussage im letzten Bericht des Brandenburgischen Verfassungsschutzes: „Neben einem deutlichen Anstieg von Reichsbürgern und Selbstverwaltern verharrt der Rechtsextremismus aktuell auf dem zweithöchsten Niveau in der Geschichte unseres Landes.“

All das Leid, die menschenverachtete Ideologie, dass massenhafte, systematische und industrielle Morden, es darf nie vergessen werden. Theodor Adorno fasste es sehr klar zusammen: „Ziel aller Pädagogik müsse es sein, dass Auschwitz sich nicht wiederhole.“

Deswegen ist es so wichtig, bei all den täglichen Herausforderungen die uns begegnen, die Momente des Gedenkens beizubehalten. Weiter zu tragen, wohin all das führt.

Darüber zu reden, was Worte, sprachliche Verschärfung und Radikalisierung für Gefahren mit sich bringen.
Viele Zeitzeugen die von den Anfängen der Machtergreifung der Nationalsozialisten berichteten, den Entwicklungen in den 20er Jahren des letztens Jahrhunderts, den wirtschaftlichen Unruhen, den sich verschärfenden Debatten verwendeten die Vokabel „kippen“. Stimmungen die plötzlich „kippen“ und sich gegen Minderheiten und Einzelne richten, die eine zuvor stabil scheinende Gesellschaft zum „Kippen“ brachten. Die Tür und Tor für Hass und Hetze öffneten.

Es ist ein Irrglaube, fest davon auszugehen, dass diese Schrecken nicht wiederkehren können. Der italienische Schriftsteller und Auschwitz überlebende Primo Levi brachte es auf den Punkt: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben. Es kann wieder geschehen, überall.“

Und so gilt es am 8. Mai den Befreiern aus Ost und West zu danken, dafür, dass sie Deutschland von der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus befreit haben. Es gilt sich aber heute auch einmal mehr bewusst zu machen, dass unsere Demokratie, die freiheitliche Ordnung, keine naturgegebene ist. Sie ist verwundbar und es gilt sie täglich zu verteidigen. Es gilt Rassismus, Ausgrenzungen und menschenverachtenden Äußerungen offensiv entgegen zu treten. Unsere Demokratie mag ihre Schwächen haben, daran muss gearbeitet werden. Aber sie ist mit Abstand die bisher beste denkbare Staats- und Gesellschaftsform. Sie zu bewahren, darin liegt unser aller Verantwortung.

Ich danke Ihnen.