Unsere Lebensläufe sind individuell. Oft sind es die kleinen Zufälligkeiten, die jedem Lebensweg die Richtung vorgeben. Im Nachgang lassen sie sich meist nur schwer fassen oder rekonstruieren. Doch gelegentlich gibt es auch die großen Ereignisse, die sich im kollektiven Gedächtnis einer Gesellschaft einprägen. Es sind Ereignisse, über die man auch Jahrzehnte später noch sagen kann, wo man genau zu dem Zeitpunkt war, als man davon erfuhr. Solche Erlebnisse prägen uns und beeinflussen unsere Lebensläufe ganz besonders.
Zweifelsohne war der 3. Oktober 1990 – der Tag der Deutschen Einheit – ein solcher Tag. Einer, der auf einmal ganz viel veränderte und millionenfach Biografien beeinflusste. Noch Anfang November 1989 waren die Grenzen dicht und wohl die Wenigsten hätten mit einem solch rasanten Tempo der Grenzöffnung und darauf folgenden Wiedervereinigung gerechnet.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet im 30. Jahr der deutschen Einheit die Grenzen wieder geschlossen werden mussten. Und so erlebt aktuell auch die Generation, die mit dem Gefühl der Freiheit und mit offenen Grenzen aufgewachsen ist, wie es sich anfühlt, wenn Grenzen geschlossen und die Reisefreiheit, teilweise selbst im eigenen Land, eingeschränkt ist.
Vieles hat sich verändert in den letzten 30 Jahren. Junge Menschen können im Ausland studieren, wir können weltweit reisen, in Europa meist sogar ganz ohne Grenzkontrollen. Die Welt steht uns offen. Wir können Länder, Menschen und andere Kulturen kennen und schätzen lernen. Die persönlichen Freiheiten sind deutlich ausgeprägter als sie vorher waren. Heute würde niemand mehr auf die Idee kommen, mir von meinem Studienwunsch Jura wegen meiner Westverwandtschaft abzuraten.
Wie groß der Wunsch nach Veränderung war, zeigt auch das enorme Tempo in dem beide Staaten zusammengeschlossen wurden. Im Nachgang darf man durchaus die Frage stellen, ob wir uns dafür nicht ein wenig mehr Zeit hätte nehmen sollen.
Denn es gab auch die Kehrseite in der Zeit nach dem 3. Oktober 1990: in Rekordgeschwindigkeit abgewickelte Unternehmen, Lebensläufe die scheinbar nichts mehr Wert waren, bis heute ungleiche Löhne und Renten. Das gab und gibt bis heute vielen Menschen das Gefühl, weniger Wert zu sein.
Das sind wir aber nicht. Keiner von uns!
Unsere ganz besondere Lebenserfahrung hat uns sehr feinfühlig für Ungerechtigkeiten gemacht, Solidarität und Miteinander, das wurde im Kleinen gelebt in der Zeit vor der Wende. Und bei all den Umweltsünden die in der DDR passierten, wurden durch die Menschen, schon lange bevor Nachhaltigkeit - zu Recht - zum großen Thema unserer Zeit wurde, recycelt und wiederverwendet.
Es war nicht alles schöner, höher, weiter, besser und schneller, aber es bestimmte in vielen Familien eine Geisteshaltung das Leben, in der man das große Glück auch im Kleinen finden konnte. Nicht unbedingt die schlechteste Einstellung zum Leben.
Und so wenig wie in der DDR alles schlecht war, so ist auch in den letzten 30 Jahren weder alles gut noch schlecht gelaufen. Lassen Sie uns heute daran erinnern, was wir in den letzten 30 Jahren alles erreicht haben. Wenn ich mich an Rüdersdorf von 1990 zurückdenke, so ist doch offensichtlich, dass sich hier sehr viel positiv entwickelt hat. Darauf können wir alle stolz sein.
Wir leben heute in einem Land, in dem es den allermeisten von uns gut geht. In dem Jede und Jeder seine Meinung sagen darf, in dem wir im gesunden Wettstreit um zukunftsfähige Ideen stehen und uns über Projekte und in Foren austauschen. Sicherlich können wir auch hierbei immer noch besser werden.
Deshalb möchte ich Sie ermuntern: Bringen Sie sich in das gesellschaftliche Leben ein! Sagen Sie Ihre Meinung. Nicht nur was Sie stört, sondern auch wie wir es gemeinsam besser machen können. Und lassen Sie uns die Solidarität untereinander nicht vergessen. Lassen Sie uns auch tolerant die Arme öffnen, für die, denen es nicht so gut geht und für die, die sich bei uns sicher fühlen und die hier mit uns leben möchten.
Genießen Sie den Tag und lassen Sie uns optimistisch in die Zukunft blicken.
Ihre Sabine Löser
Bürgermeisterin